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Herzunterstützung mit einer Kreislaufpumpe: Wenn das Herz nicht mehr alleine kann

Die Transplantationsmedizin hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht; Patienten leben heute länger und besser mit transplantierten Herzen als jemals zuvor. Dennoch kommt eine Transplantation nicht immer infrage oder Patienten benötigen eine Unterstützung bis zur Transplantation. Ein Herzunterstützungssystem (ventricular assist device, VAD) stellt für viele Patienten eine Alternative zur Herztransplantation dar.

Im Interview beantwortet Sven Groß u. a. diese Fragen:

 

Interview mit Sven Groß, VAD-Koordinator

Ein Herzunterstützungssystem (ventricular assist device, VAD) – gemeinhin auch als „Kunstherz“ bezeichnet −  dient dazu, das Herz von Patienten* mit schwerer Herzschwäche zu verbessern. Kardionet hat mit Sven Groß, VAD-Koordinator am Münchner LMU Klinikum Großhadern, gesprochen. Er setzt sich täglich für Patienten ein, die eine Herzunterstützung benötigen.

Sie arbeiten als VAD-Koordinator in einer großen herzchirurgischen Klinik. Was sind Ihre Aufgaben?

Patienten mit einer schweren Herzschwäche (Herzinsuffizienz) sind manchmal so schwer krank, dass ihr Herz eine mechanische Unterstützung in Form eines VAD benötigt. Als VAD-Koordinator unterstütze ich meine ärztlichen Kollegen dabei, die passenden Kandidaten für die Versorgung mit einem solchen System auszusuchen. Während der Implantations-Operation übernehme ich die technische Verantwortung für das Herzunterstützungssystem, um später eine Schlüsselrolle in der Nachbetreuung dieser Patienten zu übernehmen. Dazu gehört die Schulung über den Umgang mit dem System der Patienten selbst, aber auch der Angehörigen und der Mitarbeiter zum Beispiel aus Rehakliniken.

Die Patienten kommen aus einem Umkreis von ca. 270 km in das Klinikum.

Wie funktionieren Herzunterstützungssysteme? Welche Systeme werden eingesetzt?

Die gängigste Variante ist das LVAD, das Linksherzunterstützungssystem. Es wird eingesetzt, um bei stark nachlassender Leistung der linken Herzkammer sauerstoffreiches Blut von der Herzspitze mit Hilfe einer Blutpumpe über einen Blutschlauch in den Blutkreislauf zu pumpen.

Wie funktioniert ein Herzunterstützungssystem?

Ein LVAD transportiert sauerstoffreiches Blut von der linken Herzkammer in die Hauptschlagader (Aorta) und damit in den gesamten Kreislauf.

Ein typisches VAD besteht aus

  • der an der Herzspitze eingesetzten Blutpumpe,
  • einem Schlauch, der die „Umgehungsstraße“ für das zusätzlich gepumpte Blut bildet,
  • dem nach außen führenden Verbindungskabel für Strom und Steuerung (Driveline),
  • dem elektronischen Kontrollgerät und den
  • stromgebenden Batterien samt Verkabelung.
 

Bei einem anderen LVAD-System bewirkt ein außerhalb des Körpers gelegener Druckluftantrieb, dass Blut über Kanülen aus dem Körper in Blutpumpen hinein und wieder zurück gepumpt wird. Falls notwendig, können zwei Geräte implantiert werden, je eines zur Unterstützung einer Herzkammer.

Wie viele VAD-Patienten betreuen Sie im Jahr?

In der herzchirurgischen Klinik am Klinikum Großhadern werden derzeit ca. 70 Patienten mit einem LVAD betreut, nur einer mit einem RVAD, also einem Rechtsherzunterstützungssystem. Pro Jahr werden etwa 20 LVADs eingebaut.

Mit welchen Spezialisten arbeiten Sie zusammen?

Wir arbeiten eng mit unserer kardiologischen Abteilung zusammen. Unsere Kollegen versuchen, die Probleme zunächst mit Medikamenten in den Griff zu bekommen. Ein dauerhaftes Herzunterstützungssystem kommt erst in Frage, wenn Medikamente nicht mehr ausreichen. Wird ein VAD in einer Operation eingesetzt, arbeitet ein ganzes Team zusammen: zwei bis drei Anästhesisten, der leitende Kardiochirurg mit zwei Assistenten, ein Kardiotechniker für die Herz-Lungen-Maschine und ich als VAD-Koordinator, dazu noch weiteres Unterstützungspersonal. Es ist also einiges los im Operationssaal.

Wie verläuft eine VAD-Operation?

Zunächst wird der Patient in einen künstlichen Schlaf versetzt und der Brustkorb eröffnet. Während der Operation übernimmt eine Maschine die Aufgaben von Herz und Lunge. Die Herzoperation dauert in der Regel drei bis vier, manchmal fünf Stunden. Nach Einsetzen des VAD-Systems kann vorübergehend eine zusätzliche Unterstützung in Form einer „künstlichen Lunge“ erforderlich sein. Bei dieser extrakorporalen Membranoxygenierung (ECMO) wird Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff angereichert und dem Körper wieder zugeführt.

Wie lange müssen operierte Patienten in der Klinik bleiben?

Nach dem Eingriff bleiben Patienten in der Regel zwei bis fünf Tage auf der Intensivstation, etwa weitere drei Wochen zur Nachsorge im Krankenhaus und mindestens vier Wochen in einer Rehabilitationsklinik. Alles in allem veranschlagen wir ein Vierteljahr für Implantation und Nachsorge in Klinik und Rehabilitation.

Wie sieht die Langzeitbetreuung aus? Wie oft sind Kontrolluntersuchungen erforderlich?

Die Betreuung durch eine spezialisierte Ambulanz beginnt mit dem ersten Tag nach dem Aufenthalt in der Rehabilitationsklinik. Der zweite Besuch folgt in der Regel nach zwei Wochen, dann werden die Intervalle verlängert. Im Endeffekt wird eine Kontrolle alle drei Monate angestrebt.

Eine Verlaufsuntersuchung umfasst eine Laboruntersuchung, eine Echokardiografie und eine Blutdruckmessung. Zudem werden die elektronischen Aufzeichnungen des VAD ausgelesen und die Wunde kontrolliert, an der das Steuerungskabel aus dem Körper austritt. Da mit einem VAD die übliche Blutdruckmessung meist nicht mehr funktioniert, erfolgt die Messung mittels Ultraschall-Doppler.

Wie sieht es mit der Lebensqualität aus? Wie kann man sich ein Leben mit einem VAD praktisch vorstellen?

Das Leben mit einem VAD bedeutet eine große Lebensumstellung für die Betroffenen. Es sind viele Regeln zu beachten, auch für Familie und Partner. Allein schon die Vorstellung, dass das Leben von einem zwei Kilogramm schweren batteriebetriebenen Gerät abhängig ist, das ständig am Körper getragen werden muss und das man nicht ablegen kann, ist nicht einfach zu bewältigen. Dazu kommt die Notwendigkeit einer gewissenhaften Wundpflege mit Verbandswechsel alle zwei Tage.

Täglich eine funktionierende Steckdose in Reichweite zu haben, ist plötzlich überlebensnotwendig und das regelmäßige Laden und Wechseln der Batterien vor allem zu Beginn belastend. Zwar kann das Gerät auch über die Steckdose mit Strom versorgt werden, doch schränkt dies die Bewegungsfreiheit der Betroffenen stark ein. Insgesamt geht den Patienten Flexibilität im Alltag verloren. Was das Tragen von Kontrollgerät und Batterien am Körper angeht, gibt es zahlreiche Möglichkeiten: Bauchgurt, Schultertasche, Schultergurt mit Netzweste, Rucksäcke, T-Shirts mit Taschen oder Lösungen mit Anglerwesten. Jeder Patient muss selbst herausfinden, womit er am besten zurechtkommt.

Patienten passen sich unterschiedlich schnell an die neue Situation an; im Schnitt dauert es etwa ein Dreiviertel- bis ein Jahr. Patienten mit Bürojob können ihren Beruf meist später wieder ausüben, schwere Arbeit als Möbelpacker geht jedoch nicht. Schwimmen und Baden sind ebenfalls nicht mehr möglich, denn das Gerät darf nicht nass werden und die Wunde muss sauber bleiben. Zum Duschen gibt es spezielle Pflaster und wasserdichte Aufbewahrungstaschen.

Doch bei all diesen Einschränkungen darf man nicht vergessen, dass sich Patienten vor der Operation oft in einem so schlechten körperlichen Zustand befanden, dass sie keine fünf Meter mehr gehen konnten. Nach Implantation eines VAD besteht das Ziel in einer Gehstrecke von 10.000 Schritten am Tag – sogar am Stück! Haben die Patienten sich an das neue Leben angepasst, ist mit einem VAD ein vielfältiges Leben möglich – mit Berufstätigkeit, Zeit mit den Kindern, Familienfeiern, Wandern und Ausflügen mit dem E-Bike, sogar Urlaub und Flugreisen.

Die regelmäßige Betreuung schafft ein enges Vertrauensverhältnis zwischen Patient und VAD-Betreuer. Dieser ist daher oft der wichtigste Ansprechpartner im Alltag des Patienten.

Wie entscheiden Sie, wer sich für ein VAD eignet?

Ob ein VAD eingesetzt werden soll oder nicht, erfordert eine genaue Abwägung. Die Patienten sind oft schon lange schwer krank. In der Regel ist das VAD die einzige Chance, die Zelt bis zur Herztransplantation zu überbrücken oder das Leben zu verlängern.

Zu Beginn stehen praktische Gesichtspunkte: Ist nach der Operation eine angemessene Pflege gewährleistet? Ist der Patient gewissenhaft und bereit zur Lebensumstellung? Nimmt er zuverlässig seine Medikamente ein? Kann er die Pflege der Austrittswunde gewährleisten, entweder selbst, durch Angehörige oder durch einen Pflegedienst? Gibt es zur Unterstützung Familienanschluss und/oder einen engen Freundeskreis? Äußerliche Faktoren spielen ebenfalls eine Rolle: Es muss ein geeigneter, sauberer Raum für den sterilen Verbandswechsel vorhanden sein. Sogar die Einrichtung und Bekleidung muss in die Überlegungen mit einbezogen werden, denn elektrostatische Ladungen können das elektronische Kontrollgerät des VAD stören − also Vorsicht bei Induktionsherden, Mikrowellen und Synthetikstoffen.

Letztendlich läuft es auf die Frage hinaus: Was sind die Prioritäten, welche Erwartungen und Wünsche hat der Patient ans Leben? Die Geburt der Enkel miterleben? Die immer aufgeschobene Hochzeitsreise mit dem Partner? Oder sind Fortführung liebgewonnener Gewohnheiten und Bequemlichkeit das oberste Ziel? Dann wäre die Implantation eines VAD gründlich zu überdenken, denn ohne Änderungen geht es nicht.

Wie sieht ein Batteriewechsel beim VAD aus? Wer macht das? Und wie oft?

Den erledigen die Patienten selbst. Jeder Patient bekommt zwei Sets mit je zwei Batterien zum Wechseln. Beide Batterien werden stets zusammen gewechselt und bieten Energie für 18 Stunden. Danach muss gewechselt werden, entweder ans Stromnetz oder auf den zweiten Batteriesatz. Man kommt also gut über den Tag. Die Ladezeit beträgt etwa vier Stunden. Nach etwa einem Jahr werden die Batterien erneuert, da die Ladekapazität mit der Zeit nachlässt.

Für das Wechseln der Batterien schulen wir die Patienten von Anfang an, bis sie jeden Handgriff sicher beherrschen. Dasselbe gilt für das Tauschen des Kontrollgeräts, für das die Patienten ebenfalls einen Ersatz mitbekommen.

Oft nehmen Patienten bereits vor der Operation viele Medikamente ein. Wie sieht es nach dem Eingriff aus?

Das ist nicht wesentlich anders als zuvor. Die Patienten sind nach wie vor krank, das Herz muss weiterhin in der Regel mit Medikamenten unterstützt werden. Viele VAD-Patienten tragen zusätzlich einen Herzschrittmacher oder Defibrillator. Falls es vorher noch nicht der Fall war, kommen gerinnungshemmende Medikamente dazu, damit sich innerhalb des Implantats keine Blutgerinnsel bilden. Deswegen sollten VAD-Patienten auch viel trinken (2,5 l/Tag).

Vorher bestehende Nierenprobleme oder ein Diabetes verschwinden genauso wenig mit Einsetzen des VAD, weswegen auch diese weiterbehandelt werden müssen.

Welche Fortschritte hat es auf dem Gebiet gegeben? Kann man heute mit einem Herzunterstützungssystem lange leben?

Bei komplikationsloser Anpassung gibt es häufig über Jahre hinweg wenig Probleme mit dem VAD. Da viele Patienten sehr alt sind, können nach einiger Zeit Schwierigkeiten mit anderen Organen auftreten, etwa mit der Lunge, der Leber oder den Nieren. Manche Patienten sind aber schon seit 10 oder 15 Jahren in Behandlung.

Sehen Sie in Herzunterstützungssystemen eine dauerhafte Lösung für die Zukunft? Was wäre aus Ihrer Sicht wünschenswert?

Wünschenswert wäre ein vollständig implantierbares Herzunterstützungssystem, ähnlich einem Herzschrittmacher. Damit würde das Problem einer dauerhaften Wunde an der Austrittsstelle wegfallen. Die Stelle ist anfällig für Infektionen, deren Pflege ist aufwändig; gelegentlich kann eine Behandlung mit Antibiotika erforderlich sein. Deswegen wäre eine voll implantierbare Lösung schön.

Als dauerhafte Therapie dient ein VAD momentan für schwer herzgeschädigte Patienten, die aufgrund ihres hohen Alters oder schweren Vorerkrankungen nicht für eine Herztransplantation infrage kommen. Zur Überbrückung des Zeitraums bis zur Transplantation dient ein Herzunterstützungssystem momentan 15–20 % der Patienten.

Was ist Ihr Fazit?

Trotz der nötigen Umstellung des Lebensstils kann ein VAD betroffenen Herzpatienten eine gute Lebensqualität und viele weitere Möglichkeiten bieten, die ohne ein solches nicht möglich gewesen wären.

* Zugunsten besserer Lesbarkeit verwenden wir bei Personenbezeichnungen die generische Form. Es sind stets Männer und Frauen gemeint.