
DNA: Die Gene bestimmen mit, ob man zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen neigt. © Alex / fotolia
Herz-Kreislauf-Risiken – Genetik, Epigenetik und Lebensstil
Bei vielen Erkrankungen spielt es eine Rolle, ob jemand für sie anfällig ist oder nicht. „Das liegt in den Genen“, sagt man dann gern. Tatsächlich spielen aber nicht nur genetische, sondern auch epigenetische Faktoren eine Rolle. Was genau bedeutet „epigenetisch“?
- Genetik
Alle wesentlichen Eigenschaften eines Lebewesens sind in seiner DNA (Desoxyribonukleinsäure) verschlüsselt. Die einzelnen DNA-Abschnitte, die jeweils eine Grundinformation enthalten, werden Gene genannt. Grundinformation meint nicht so was wie „Augenfarbe“, sondern eher „was für ein Eiweiß wird wann gebaut“. Diese Eiweiße bewirken dann im Zusammenspiel, dass z. B. die Augen eines Menschen braun, die eines anderen grün sind. Sie bestimmen aber auch, wie Stoffwechselprozesse ablaufen oder wie Zellen bzw. Organe auf bestimmte Reize reagieren.
Diese genetischen Informationen sind weitestgehend festgelegt, sie werden vererbt und ändern sich – abgesehen von alters- und umweltbedingten Schäden an der DNA einzelner Zellen – im Laufe des Lebens nicht.
Wissenschaftler erforschen schon seit Längerem, welche Gene wie mit bestimmten Erkrankungen zusammenhängen. So können heute bereits „Risikogene“ bestimmt werden – z. B. für verschiedene Krebstypen. Im Gegensatz zu Erbkrankheiten lösen diese Gene aber die Erkrankung nicht direkt aus – Träger des Risikogens erkranken in der Regel mit einer höheren oder hohen Wahrscheinlichkeit, sie können von der betreffenden Krankheit aber auch gänzlich verschont bleiben.
- Epigenetik
Die DNA liegt im Zellkern als spiralförmiger Doppelstrang vor – man kann sie sich etwa vorstellen wie eine um die Längsachse gedrehte Leiter.
Damit die in der DNA verschlüsselten Informationen benutzt werden können, müssen sie in eine andere Form gebracht werden. DNA wird in RNA (Ribonukleinsäure) „umgeschrieben“. Bestimmte Bausteine am DNA-Strang markieren, wo ein Gen anfängt und wo es endet oder ob ein bestimmter Abschnitt überhaupt abgelesen und umgeschrieben werden kann. Letzteres ist zum Beispiel wichtig, um festzulegen, ob eine Zelle die Funktionen einer Herzzelle oder einer Nierenzelle erfüllt. Das bedeutet, dass je nach Zellart andere Gene „stumm“ geschaltet sind.
Doch nicht nur die Zellart bestimmt, welche Gene „stumm“ sind oder welche besonders häufig abgelesen werden. Auch von Mensch zu Mensch gibt es Unterschiede. Die Ablese-Markierungen können durch die Lebensumstände oder Umwelteinflüsse verändert werden. Man ging bis vor etwa 20 Jahren davon aus, dass sie nicht weitervererbt werden.
Junge Wissenschaft – erste Erkenntnisse
Man weiß schon relativ lange, dass bestimmte Gemeinsamkeiten zwischen Eltern und Kindern nicht allein genetisch – also nur durch die Weitergabe der DNA – erklärt werden können. Die damalige Lehrmeinung besagte, dass Erziehung und Lebensumfeld die prägenden Einflüsse sein mussten. Kinder, die aus „essfreudigen“ Familien kommen, sind eben dicker – das ist eine Binsenweisheit. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gab es mehr und mehr Hinweise darauf, dass die Dinge komplizierter sind. Manche Familienähnlichkeiten lassen sich weder durch vergleichbare Lebensumstände noch durch genetische Besonderheiten begründen. Hier setzt die Epigenetik an.
Heute geht man in der Epigenetik davon aus, dass Ablese-Markierungen, die jemand aufgrund seiner Lebensweise oder gemachter Erfahrungen erwirbt oder verliert, bis zum Lebensende stabil bleiben können. Mehr noch: Diese Markierungen können vielleicht sogar vererbt werden.
Das experimentell nachzuweisen, ist allerdings schwierig. Man muss dafür nicht nur den prägenden Einfluss der Eltern auf das Neugeborene ausblenden, auch Einflüsse durch die Mutter während der Schwangerschaft verfälschen die Ergebnisse. 2016 führten deutsche Forscher deshalb ein Experiment mit Mäusen durch, bei dem „Mäuse-Leihmütter“ zum Einsatz kamen – trotzdem merkte man dem Nachwuchs an, ob seine biologischen Eltern übergewichtig gewesen waren.
Der Nachweis durch Statistiken scheint eher möglich. Aus dem Jahr 2002 stammt z. B. eine Studie aus Schweden, derzufolge Enkel von Männern, die vor ihrer Pubertät eine Hungersnot durchlebt hatten, nicht so häufig an Herzerkrankungen oder Diabetes leiden wie die Enkel von Männern, die reichlich zu essen hatten.
- Lebensstil
Während die Epigenetik-Forschung also noch in den Kinderschuhen steckt, ist der Einfluss des Lebensstils auf die Gesundheit – und zwar besonders auf die Herz-Kreislauf-Gesundheit – längst statistisch erwiesen. Gene und epigenetische Faktoren sorgen bestenfalls dafür, dass eben nicht jeder Übergewichtige einen Diabetes Typ 2 entwickelt, oder jeder, der regelmäßig joggt, einen normalen Blutdruck hat.
Vorsorge überflüssig?
Ein paar Menschen haben also einfach Glück. Sich darauf zu verlassen, wäre jedoch unklug, denn eine Krankheit nicht so schnell zu bekommen, heißt ja nicht, dass man sie gar nicht bekommen kann. Wenn es zu viele Risikofaktoren wie z. B falsche Ernährung, Bewegungsmangel etc. gibt, kann man auch in einer Familie von Kreislaufgesunden der erste Hypertoniker werden.
Besondere Vorsicht?
Umgekehrt gilt: Wenn es in der Familie eine Häufung bestimmter Probleme gibt, dann sollte man besonderen Wert darauf legen, diesen Problemen vorzubeugen. Am besten so früh wie möglich. Denn eine Krankheit schneller bekommen zu können, heißt ja nicht, dass man sie bekommen muss. Selbst wenn man ihr auch mit einem gesunden Lebensstil nicht ganz entkommen sollte, kann man möglicherweise zumindest ihre Schwere und damit die Folgeprobleme beeinflussen.
Je früher, desto schwerer
Von dem, was man von den Eltern ererbt hat, einmal abgesehen: Viele epigenetische „Marker“ entstehen nach der Geburt, hängen also vom eigenen Lebenswandel ab. Je früher die epigenetischen Faktoren angelegt werden, desto schwerer wird es, gegen ihre Wirkung anzukämpfen.
In der Mitte des Lebens Speckröllchen loswerden, die man schon als Teenager hatte, ist also nicht nur deshalb schwer, weil die Essgewohnheiten so tief verankert sind, sondern auch, weil sich der Stoffwechsel darauf eingestellt hat.
Für Eltern bedeutet das, dass sie ihre Kinder schon von klein auf zu einem gesundem Lebensstil animieren sollten – am besten durch Vorleben.
Fazit
Letztlich werden die Forschungsergebnisse aus Genetik und Epigenetik helfen, Risikogruppen besser zu erkennen, und maßgeschneiderte Tipps für den individuell gesündesten Lebensstil zu geben. Zudem lassen sich in Zukunft Phänomene aus den Randbereichen der aktuellen Statistiken besser verstehen.
Als Ausrede für einen ungesunden Lebensstil werden sie nicht taugen. Die Gene und ihre „Markierungen“ bestimmen zwar, ob ein Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorliegt – was am Ende tatsächlich passiert, liegt (mit wenigen Ausnahmen) in Ihrer Hand.